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Er war stets darum bemüht,
all den negativen Figuren, die er bisher spielte (im "Tatort" alleine deren
fünf) "Zuneigung und Aufmerksamkeit zu geben". Er wollte zeigen, "wo und wie
das Böse entsteht" und vor allem, "wo die Liebe fehlte". Radszun,
der sich selbst als einen "von Hause aus introvertierten Menschen" sieht
("worüber ich nicht sehr glücklich bin"), will sich mit dem Attribut des
"kalten Blicks" nicht zufrieden geben. Stechend, das schon - kalt jedoch
keineswegs. |
Schließlich versuche er ja, seine Figuren zu verstehen und habe daher -
so seine Konklusion - "im Grunde einen ganz warmen Blick auf diese
Figuren".
Mit seinem früheren Hobby
Taekwondo hat der verheiratete Familenmensch und Vater einer 16-jährigen
Tochter (Nastassja) aufgehört. "Zu gewalttätig" war ihm dieser
Sport. "Jemand zu verletzen, den Kampf gegeneinander" liebt er nicht.
Nunmehr widmet er sich den schönen fernöstlichen Übungen Yoga und
Tai-tschi, weil da nicht Kampf
und Gewalt, sondern "Versöhnung und Harmonie" herrschen. Über
Nervenkanäle und Energiebahnen, die dabei geöffnet werden, kann Radszun
mitreißend erzählen. "Die chinesische Medizin baut darauf auf." Dennoch
sei das alles physiologisch nicht fassbar. "Nur in seiner Wirkung",
immerhin.
Dass sich der Böse vom Dienst viel Zeit für geistige Dinge nimmt, geht
nicht nur aus Radszuns Homepage (www.radszun.de) hervor, die mystisches
Gedankengut über die kosmische Evolution zitiert, sondern auch aus
mancher ad-hoc-Lektion, die er sogleich aus dem Stegreif erteilt. Für
die moderne Physik interessiert er sich ganz besonders, für "die
Transzendenz hinter der Materie". Dafür eben, dass für die neue Physik
"Teilchen nicht wirklich" sind, sondern "nur" Energie, die sich bei
entsprechender Versuchsanordnung allerdings als Materie darstellen
lasse.
Wer bei so viel Philosophie- und Wissenschaftsinteresse glaubt, der Mann
mit dem ostpreussisch-masurischen Namen (sprich: "radschun") könne
leicht zum Schriftsteller mutieren, geht fehl: Radszun nutzt die
zwischen den Rollen verbleibende Zeit für die "persönliche Entwicklung",
worunter er neben der Wissensvermehrung eben auch Freunde und Familie
versteht. Regelmäßig werden Kräuter und Oleander auf den Kreuzberger
Balkon gestellt. Der Schauspieler liebt Kreuzberg, "die Studenten, die
Freaks, die Türken, Normalos, Altrocker, Geschäftsleute. Alles mischt
sich und ist sehr bunt." Und er freut sich über das Dasein in diesem
Kiez: "Das Recht, das andere haben, ist auch mein Recht." Klingt nach
Kant, Ostpreußen und dem kategorischen Imperativ.
Radszun, der introvertierte und sensible Schauspieler, mag die Bühne
nicht. Zu viel Technik und Theatralik brauche man dort. Er selbst sei
einer, der das Medium eher auf sich zukommen lassen müsse, als
umgekehrt. Dabei wurde er bereits mit zwölf Jahren für eine große
Produktion am Schillertheater gecastet, doch die Schule verbot damals
den Auftritt des bleichen, blonden Knaben. Doch der Entschluss zur
Schauspielerei stand fest. Max-Reinhard-Seminar nach dem Abi, Film und
Fernsehen danach, mit einer Riesenliste von illustren Namen. Bernhard
Sinkel, Hark Bohm und Peter Beauvais. Nicht zuletzt Claude Chabrol, der
Radszun mit anderen deutschen Darstellern für seine uneitle Gangart
lobte bei "Dr. M".
Das Komische im Schauspieler wurde kürzlich bereits von Dieter Wedel,
dem treuen Regie-Gefährten ("Der König von St. Pauli", "Der
Schattenmann", "Der große Bellheim") gefördert: In "Die Semmelings"
durfte Radszun von Folge zu Folge einen seltsamen Episoden-Nachbarn
geben. Doch die wirkliche Entdeckung des komischen Radszun steht leider
noch aus. Zu viel Freizeit sollte man diesem Menschen sowieso nicht
lassen. Sonst erfindet er womöglich irgendwann auf seinem Balkon oder in
seinem Lieblingsreiseziel Thailand das Universum doch noch völlig neu...
2002
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