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s p i r i t
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Zur
Genese der Dummheit -
Dialektik der Aufklärung
Das
Wahrzeichen der Intelligenz ist das Fühlhorn der Schnecke „mit dem
tastenden Gesicht".
Das Fühlhorn wird vor dem Hindernis sogleich in die schützende Hut des
Körpers zurückgezogen, es wird mit dem Ganzen wieder eins und wagt als
Selbständiges erst zaghaft wieder sich hervor.
Wenn die Gefahr noch da ist, verschwindet es aufs neue, und der Abstand
bis zur Wiederholung des Versuchs vergrößert sich.
Das geistige Leben ist in den Anfängen unendlich zart.
Der Sinn der Schnecke ist auf den Muskel angewiesen, und Muskeln werden
schlaff mit der Beeinträchtigung ihres Spiels.
Den Körper lähmt die physische Verletzung, den Geist der Schrecken.
Beides ist im Ursprung gar nicht zu trennen.
Die
entfalteteren Tiere verdanken sich selbst der größeren Freiheit, ihr
Dasein bezeugt, dass einstmals Fühler nach neuen Richtungen
ausgestreckt waren und nicht zurückgeschlagen wurden.
Jede ihrer Arten ist das Denkmal ungezählter anderer, deren Versuch zu
werden schon im Beginn vereitelt wurde; die dem Schrecken schon erlagen,
als nur ein Fühler sich in der Richtung ihres Werdens regte.
Die Unterdrückung der Möglichkeiten durch unmittelbaren Widerstand der
umgebenden Natur ist nach innen fortgesetzt, durch die Verkümmerung der
Organe durch den Schrecken.
In jedem Blick der Neugier eines Tieres dämmert eine neue Gestalt des
Lebendigen, die aus der geprägten Art, der das individuelle Wesen angehört,
hervorgehen könnte.
Nicht bloß die Prägung hält es in der Hut des alten Seins zurück,
die Gewalt, die jenem Blick begegnet, ist die jahrmillionenalte, die es
seit je auf seine Stufe bannte und in stets erneutem Widerstand die
ersten Schritte, sie zu überschreiten, hemmt.
Solcher erste tastende Blick ist immer leicht zu brechen, hinter ihm
steht der gute Wille, die fragile Hoffnung, aber keine konstante
Energie.
Das Tier wird in der Richtung, aus der es endgültig verscheucht ist,
scheu und dumm.
Dummheit
ist ein Wundmal.
Sie kann sich auf eine Leistung unter vielen oder auf alle, praktische
und geistige, beziehen.
Jede partielle Dummheit eines Menschen bezeichnet eine Stelle, wo das
Spiel der Muskeln beim Erwachen gehemmt anstatt gefördert wurde.
Mit der Hemmung setzte ursprünglich die vergebliche Wiederholung der
unorganisierten und täppischen Versuche ein.
Die endlosen Fragen des Kindes sind je schon Zeichen eines geheimen
Schmerzes, einer ersten Frage, auf die es keine Antwort fand und die es
nicht in rechter Form zu stellen weiß.
Die Wiederholung gleicht halb dem spielerischen Willen, wie wenn der
Hund endlos an der Türe hochspringt, die er noch nicht zu öffnen weiß,
und schließlich davon absteht, wenn die Klinke zu hoch ist, halb
gehorcht sie hoffnungslosem Zwang, wie wenn der Löwe im Käfig endlos
auf und ab geht und der Neurotiker die Reaktion der Abwehr wiederholt,
die schon einmal vergeblich war.
Sind die Wiederholungen beim Kind erlahmt, oder war die Hemmung zu
brutal, so kann die Aufmerksamkeit nach einer anderen Richtung gehen,
das Kind ist an Erfahrung reicher, wie es heißt, doch leicht bleibt an
der Stelle, an der die Lust getroffen wurde, eine unmerkliche Narbe zurück,
eine kleine Verhärtung, an der die Oberfläche stumpf ist.
Solche Narben bringen Deformationen.
Sie können Charaktere machen, hart und tüchtig, sie können dumm
machen - im Sinn der Ausfallserscheinung, der Blindheit und Ohnmacht,
wenn sie bloß stagnieren, im Sinn der Bosheit, des Trotzes und
Fanatismus, wenn sie nach innen den Krebs erzeugen.
Der gute Wille wird zum bösen durch erlittene Gewalt.
Und nicht bloß die verbotene Frage, auch die verpönte Nachahmung, das
verbotene Weinen, das verbotene waghalsige Spiel, können zu solchen
Narben führen.
Wie die Arten der Tierreihe, so bezeichnen die geistigen Stufen
innerhalb der Menschengattung, ja die blinden Stellen in demselben
Individuum Stationen, auf denen die Hoffnung zum Stillstand kam, und die
in ihrer Versteinerung bezeugen, dass alles Lebendige unter einem Bann
steht.
th.w.adorno, max
horkheimer:
dialektik der aufklärung
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